2. Zündung

„Mir gefiel die Kriegsmarine“, sagt Doug. „Ohne die Navy wäre ich heute ein weit schlimmerer Mensch. Ich wäre die reinste Rebellion gegen alles, gegen jeden.“ „Du erfährst Respekt und Disziplin. Du lernst Führung, Teamarbeit. Du wirst innerhalb weniger Wochen vom Jungen zum Mann“. Der Klassiker, das Klischee: Das Militär, die Mann-Mach-Maschine.

Keine Kirche, keine Schläge, keine Mutter, die dich aufgibt. Wer in der Navy versagt, der wird anders bestraft. „Du bekommst Zusatzaufgaben, mehr Trainings, mehr Drill. Aber die lassen dich nicht los, die werfen dich nicht weg. Die geben Dir auch keine Zeit über irgendetwas nachzudenken.“

„Sieben. Sechs. Fünf.“ Noch vier Sekunden, dann explodiert seine erste Atombombe.

Es ist alles gut und richtig und kaum etwas ungewöhnlich, als Douglas Hern seine Kindheit zurücklässt und sich auf den Weg nach Christmas Island macht. Es ist der 11. September 1957, sein 21. Geburtstag, die Royal Air Force fliegt den Navy-Koch über Shannon und Neufundland nach New York. Warum? Wie weiter? Wie lange? „Ich hatte gelernt, keine Fragen zu stellen”, sagt er.

Saftige Ausgelassenheit mit einem Rest Jugend

Kein Misstrauen, kein Argwohn. Dafür ein grandioses Besäufnis mit zwei Marines in der Bar des Schwergewicht-Weltmeisters Jack Dempsey. Eine amerikanische Institution, direkt am Broadway. Zwischenlandung in New York, er lässt es krachen, mitten in Manhattan. Am Times Square geht er so richtig steil, so laut, so besoffen, so ausgelassen und unbedarft, dass er den Truppenanschluss verliert und unter Aufsicht in einem Zivilflugzeug nach San Francisco weiterfliegt. „Um sicherzugehen, dass ich mich auch ja benehme“.

Eigentlich grandios: Du bist 21 und seit fünf Jahren Kriegsmarinekoch. Du bekommst den Marschbefehl nach irgendwo, tastest dich vor durch die Welt, Amerika, Hawaii, dann heißt es: Christmas Island, Pazifik. Das erste, was du nach deiner Ankunft dort tust, um halb drei Uhr in der Früh, in pechschwarze Nacht getaucht, ist deine Unterschrift unter den „Official Secrets Act“ zu setzen. Staatlich verordnete Geheimhaltung.

So verpflichtest du dich, keinerlei Informationen preiszugeben. Kein Wort wirst du darüber verlieren, über das, was hier auf der Insel passiert. Auch nicht in den Briefen die Du nach Hause schickst. Und von den einheimischen Frauen, die in den Lagunen fischen, wirst Du schön die Finger lassen. Mindestens 800 Meter Abstand wirst Du zu ihnen halten, zu den unantastbaren Postkartenmotiven. Gut möglich, dass du dich da ganz groß fühlst, vielleicht sogar ein bisschen auserwählt. Du gehörst ab sofort zur Task Force „Grapple“, übersetzt: „Greifer“, und bist Teil eines groß angelegten atomaren Testprogramms. Dir wird gesagt, dass Du dabei keinerlei Gefahr ausgesetzt sein wirst. Immer und immer wieder wird Dir das gesagt. „Ich habe ihnen alles geglaubt“, sagt Doug.

„Vier. Drei. Zwei“. Noch eine Sekunde, dann explodiert deine erste Atombombe.

Im November ‘57 sind 3.000 britische Soldaten auf der Insel stationiert. Wie viele davon die Explosion erleben, das weiß Doug heute nicht mehr. Nur dass ihnen am Abend zuvor gesagt wird, sie würden am nächsten Tag an einer Übung teilnehmen.

Vor Sonnenaufgang der Appell: in Dreierreihen aufstellen, durchzählen. Sie tragen die Seitenwände ihrer Zelte mit sich, wohl damit die Druckwelle die Zelte nicht fortfegt und damit sie nicht auf dem klammen, feuchten Inselboden knien müssen. Es ist noch stockfinster, aus den Lautsprechern tönt Musik, „Glenn-Miller-Stuff“, sagt Doug, „irgendeine Big Band“. Die Soldaten scherzen.

Noch als das Flugzeug mit der Bombe von der Insel abhebt folgen die nächsten Befehle: Dreht euch mit dem Rücken zum Meer. Hockt euch in Kindslage auf die Planen, wie Föten. Die Augen schließen, die Hände fest draufpressen. Besser noch: drückt mit aller Gewalt die Knie in die Augenhöhlen.

Was denkst Du in so einem Moment? Was fühlst Du? „Du tust einfach das, was dir gesagt wird“.

„Eins.“ Zündung.

Douglas Herns erste Atombombe explodiert am 8. November 1957 um 07:47 Uhr Ortszeit, 37 Kilometer vor ihm, auf Christmas Island. Plötzlich brennst du von innen heraus. Nicht einmal einen Wimpernschlag nachdem die auf den Namen „Grapple X“ getaufte Wasserstoffbombe detoniert, nachdem ein herkömmlicher Atomsprengsatz zündet, um die nötige Energie für die sonnenähnliche Verschmelzung der Wasserstoff- Isotope Deuterium und Tritium zu Helium zu liefern, nicht einmal diesen einen Wimpernschlag später brennt es nur so aus Dir heraus: „Als würde ein Doppelgänger aus Feuer durch dich hindurch schreiten. Er springt dich von hinten an und drängt nach vorne wieder raus.“ Sekunden bloß, vielleicht auch nur Millisekunden. Genug Zeit aber, dass dein Feuerklon immer heißer und heißer und heißer wird. „Mein Unterkiefer brannte, kaum auszuhalten.“

Dann das Licht, so hell, so stark, dass Du mit geschlossenen Augen das Innere deiner Hände siehst: „Die Knochen, die Adern, die Sehnen.“

3. Feuer und Fisch

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