Echokammern auf Speed
Zwei Frauen, Inès Serrano (ziemlich intellektuell) und Estelle Rigault (ziemlich reich), dazu ein Mann, Joseph Garcin (ziemlich feige), nach ihrem Tod eingeschlossen in einem unscheinbaren, von einer schweren Stahltür verschlossenen Raum. Alle drei hoffnungslos einander ausgeliefert, ihrem Urteil, ihrem Hass, ihrer Präsenz, ihrer Anerkennung und Ablehnung.
Keine Fenster, keine Spiegel, immer Licht. Keiner der drei kann fliehen, keiner kann vom anderen lassen. Alle dazu bestimmt, sich zu quälen und gequält zu werden. Es gibt keinen Tag, keine Nacht, es gibt auch keine Augenlider mehr. Ständiges Wachsein, keine Erholung, kein Vergessen. Alles ist sichtbar, so bekommt auch jedes noch so kleine Detail vermeintliche Bedeutung. Fliehen? Zwecklos. »Die Hölle, das sind die anderen«, spricht Garcin irgendwann. Und benennt damit exakt das, was der französische Philosoph Jean-Paul Sartre in seinem Werk »Geschlossene Gesellschaft« beschreibt: hier ist jede:r des anderen Folterknecht, jede:r Folteropfer.
Die Hölle ist offen, für alle:s, für jede:n
»Huis clos« lautet der französische Originaltitel, ein stehender Begriff für »unter Ausschluss der Öffentlichkeit«. Eigentlich gar nicht schlecht: Bleibt die Öffentlichkeit draußen, dann darf alles gesagt, kann alles offengelegt werden. Dann ist (fast) alles erlaubt. Was unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht, das ist und bleibt unter uns. Breaking News, schlechte Nachricht: diese Räume, es gibt sie nicht mehr. Die Hölle ist offen, für alles und jeden.
Es braucht weder viel Fantasie noch profundes Wissen in französischem Existenzialismus, um zu erkennen: Die Hölle, das ist dort, wo alles publik ist, alles Echtzeit, alles Eilmeldung. Dort, wo Massenmedien Medienmassen produzieren. Alles gehört durchgestochen, kommentiert, emittiert. Das Verborgene ist passé. So lässt sich Sartres Hölle leicht in jede Filterblase, jede Bubble, jeden Kanal, auf jeden Touchpoint projizieren: Unablässig sammelt sich in den Blasen und Echokammern ein Smog aus allem, aus Endlosinhalt, aus Meinung, Hysterie, Stimulanz, Akzeptanz, Ablehnung, Konfrontation, Imitation, Reflex, Pawlow. Und Speed.
Die mediale Hölle ist eine Echokammer auf Speed, in der allein schon der schieren Präsenz des Anderen Bedeutung zukommt. Damit verstärkt sich der/die/das Laute immer weiter, bis zur krachenden Bedeutungslosigkeit. Wie in einer Großküche, in der unzählige Köche die Zutaten wahllos zusammenwerfen um sie bis zur mainstreamigen Löffelfertigkeit zu verbreien. Weil der Küchenchef die Losung ausgibt: »Macht mal Essen!«
Der Inhalt, das sind die Anderen!
Falsch ist das nicht: bloßes Essen macht schon auch satt. Und auch Inhalt lässt sich ebenso bequem wie wahllos verschlingen, lässt sich reinsaugen. Bleibt aber nicht hängen, hat kaum Bedeutung, kaum Wirkung, wird halt verstoffwechselt. Kaum produziert, schon konsumiert. Der Nächste bitte! Damit sprechen wir dem Inhalt seinen ureigensten Wert ab: Bedeutung. Inhalt, wenn nicht wertgeschätzt, neutralisiert Inhalt. Er wird zum »Instant Content«, zum bedeutungslosen, formbaren Etwas. Und ist damit nackt ausgeliefert, dem Urteil, dem Hass, der Präsenz, der Anerkennung und Ablehnung der Anderen. Die Hölle, das sind die Anderen? Der Inhalt, das sind die Anderen!
Um nicht in den Echokammern auf Speed unterzugehen, um im »Big Content« zu bestehen, zu bedeuten, zu wirken, dazu braucht Inhalt eine Renaissance, eine Rückbesinnung, eine Bedeutungszuweisung. Er verdient eine Methode, eine Wertschätzungskette, an deren Anfang nur zwei Worte stehen: »Wozu?« und »Damit!«. Klingt einfach. Denkt Inhalt aber von Grund auf wieder neu: Wozu gibt es das Geschriebene, Gesendete, Geteilte, Kommentierte, Fotografierte, Skizzierte, Dokumentierte? Welchen Wert schreiben wir Inhalt zu, wozu dient sein Wesen und damit seine Wirkung? Und auch das noch: Wozu müssen wir Inhalt diskutieren? Damit wir uns allein auf seine schnelle Reichweite, seine technokratische Maßzahl, seine größte gemeinsame Performance verständigen?
Ohne das »Wozu? Damit.« imitieren wir Kommunikation immer und immer wieder aufs Neue. Und wären dadurch doch wieder nur Partikel im Sog und Smog der Echokammern und Blasen. In den Räumen, in denen unzählige Instrumente einfach drauflos spielen, wild durcheinander. Weil die einzige Ansage des Dirigenten ans Orchester lautet: Macht mal laut!
Die Blasen verlassen, aber mit Methode: Wir.
Wohlgemerkt: Das ist ebenso wenig falsch wie wahlloses Essen. Laut kann man auch hören, das reicht schon für ordentlich Drama und Drehmoment in der Aufmerksamkeitsspirale. Bedeutung aber, gar Wirkung, geht anders. Wozu also Inhalte neu denken? Damit wir Inhalt als Bedeutung unserer Geschichten verstehen. Dazu denken wir fernab vom Kanal, fernab von klassischen KPIs, fernab vom schnellen Klick-Kick. Dazu verlassen wir die Blasen und folgen einer klaren Methodik, die weit vor der Produktion von Inhalt und Kommunikation ansetzt.
Da steht am Anfang das Wir: Wozu machen wir das hier eigentlich? Nicht alleine, sondern gemeinsam eine Einigkeit über das eine, klare Ziel der Story zu schaffen - das weist der Story ihre Bedeutung zu und lehrt damit, sie neu wertzuschätzen. Das Wir ist der Startpunkt der inhaltlichen Wertschätzungskette, des Neudenkens. Trivial? Vielmehr grenzüberschreitend, Silos einreißend.
Blasen platzen lassen, zuvorderst die eigenen, damit fängt die Arbeit an. Sind sie geplatzt und nicht mehr geschlossene, sondern geöffnete Gesellschaften, dann folgt: die Debatte, die Diskussion, das Sichten und Gewichten, die Bedeutungszuweisung.
Bitte als Kooperation zu verstehen, nicht als Kampf! Im Kampf verliert jeder Inhalt rapide an Wert. In der kreativen Kooperation kann er wachsen und gewinnen.
Minds wide open! Das Überwinden des Egos in der Inhaltsdiskussion schafft Wertschätzung dem Anderen gegenüber. Weil es die eigene Rolle in der Gruppe, im Team, im Miteinander mit Bedeutung anreichert. Und damit auch das Ergebnis. »Shit in, Shit out« wird zu »Sense in, Sense out«. Die Wertschätzungskette im Mindset wird zur Wertschöpfungskette im Kommunikationsvorgang.
Ein Betriebssystem, das nach draußen führt, das integriert.
Aber mal ehrlich: was ist daran schon neu? Das Team, das Wir, das gemeinsame Miteinander sind doch nur weitere hohle Phrasen in einer weiteren speedy Echokammer. Tausendmal zitiert. »There is no them, only us«. Netter Kalenderspruch, nur leider auch erstmal: bedeutungslos.
Stimmt. So wie es eine Methodik, ein Betriebssystem braucht, um aus Einsen und Nullen eine Anwendung zum Laufen zu bringen braucht es ein Betriebssystem, das den Kalenderspruch von der Wand reißt, ihn zerknüllt und in den Alltag wirft. Auf dass er sich dort entfaltet, aus der Hölle der lebenden Toten, rein ins Leben.
Eine Methodik, die Struktur, Fokus, Routinen, Rahmen aufzeigt. Ein Framing also, das – wenn als Training, Sparring, Option verstanden und angewendet — nach draußen führt. Framing kann überhaupt »führen«, kann integrieren statt dividieren.
Die Hölle gibt schon auch Halt. Als hermetisch geschlossener, nach innen gerichteter Raum, aus dem es ein Hinein, aber kein Hinaus gibt. »Also – machen wir weiter« sind die letzten Worte, die Garcin in »Huis Clos« spricht. Die Rolle, die Sartre ihm zuschreibt, ist im Übrigen die eines Journalisten. Aber das nur als Randnotiz.
Nein, einfach so weiter machen wir nicht.
»Wir«? Ja.
»Weiter«? Auch.
Aber nicht »einfach so«.
Einfach so haben wir es geschafft, etwas essentiell Emotionales wie den gesprochenen, geschriebenen, gesendeten, gezeigten Inhalt bis zur Beinahe-Beliebigkeit herunter zu kopieren — dazu bereit, mit jedem Kopiervorgang eine neue, emotions- und wertlosere Content-Mutante zu schaffen. Es ist Zeit für (wieder) mehr Original.
Wozu? Damit. Damit Bedeutung im Inhalt ihre integrative Wucht entfalten kann, nach außen wie nach innen. Damit sich integrierte Kommunikation nicht allein in Prozessen abbildet, sondern gleichwohl in den Menschen, die sie neu denken, neu planen, neu umsetzen.
Das sind dann die, die wieder mehr Wirklichkeit, mehr Dialog schaffen.
Die anderen machen weiter Hölle.
tl;dr
In einer Welt der Massenmedien, der Echokammern und Filterblasen gibt es keine Geheimnisse mehr, keine Flucht. Alles wird sichtbar, kommentiert und ausgeschlachtet, bis zum Punkt der Bedeutungslosigkeit.
Inhalt verkommt zum „Instant Content“, oft wertlos, noch öfter schnell produziert, schnell konsumiert.
Was fehlt? Eine Rückbesinnung auf die Bedeutung von Inhalt, die Frage nach dem „Wozu“ und „Damit“. Echokammern müssen platzen, damit wir den Wert von Kommunikation wieder erkennen. Es geht um Inhalte, die wieder wirken, nicht einfach nur laut sind.